Ateliergespräch mit dem in Berlin lebenden Maler Slawomir Elsner
Grauer oder ergrauter farbiger Verputz, der stellenweise abgeblättert ist. Diese Wunden an Mauern und Hauswänden haben die Form von Figuren, hier ein Wächter, da ein Liebespaar, dort hockt einer. Das ist ein neuer Werk-Zyklus von Slawomir Elsner, entstanden aus Anlass des 20. Jahrestages des Mauerfalles. Wer ist der Maler dieser vielschichtigen Bilder und wie kam er überhaupt zur Kunst?
Geboren wurde Elsner 1976 im oberschlesischen Wodzisław Slaski, das früher auch Loslau hieß und näher am tschechischen Ostrava als am polnischen Katowice liegt. „Meine Familie kam 1987 nach Deutschland. Vater ist Möbelpolsterer und wollte eine eigene Firma gründen, das ging damals in Polen nicht, so zogen wir nach Deutschland, nach Kassel, die Oma war schon hier. Als Kind habe ich gern und viel gezeichnet, war in Museen, dann in Deutschland nicht mehr, da hatte ich andere Interessen. Aber mich faszinierte Werbung. Das wollte ich auch machen.“
Sind Sie aus der Familie schon künstlerisch vorgeprägt? „Nein.“ Wie ging es weiter? „Zunächst besuchte ich eine Zeichen–Kurs an der Volkshochschule und die Lehrerin, die Malerin Christine Reineckens, riet mir, mich zu bewerben, aber Werbung wollte ich nicht mehr, das war mir inzwischen zu eng. Ich dachte, Freie Kunst ist besser, und wollte nach Berlin. Aber die Lehrerin riet mir: mach erst mal als Test hier in Kassel eine Aufnahmeprüfung. Ich folgte ihrem Rat. Und wurde sofort genommen, bin dann geblieben.“ Sie hätten wechseln können… „Ja, die Idee hatte ich, habe sie aber nie realisiert.“ Wegen der Documenta? „Das Studium war angenehm und familiär, das war für den Anfang sehr gut und wichtig, aber mein Lehrer, Norbert Rademacher…“ Bei dem sie auch Meisterschüler waren? „Genau. Er forderte uns auf rauszugehen. Ich bin dann viel rumgefahren, habe mir alles was möglich ist angesehen: Museen, Rundgänge an anderen Kunsthochschulen und vieles mehr in Düsseldorf, Frankfurt, München, Hamburg, Berlin… Kassel liegt in der Mitte von Deutschland… Mit Rademacher, habe ich mich gut verstanden, dadurch auch der Meisterschüler. Überhaupt hat er viel organisiert für und mit uns.“ Zum Beispiel? „Er reist gern und hat angeregt, dass wir eine Edition machen, verkaufen und von dem Geld nach Venedig zur Biennale fahren. Und noch anderes.“
Nach dem Studium gingen sie gleich nach Berlin? „Ja. Berlin war die Mitte zwischen Kassel und Opole. Meine Frau studierte dort Umweltschutztechnik und wir pendelten in der Zeit. Es ist gut, dass meine Frau etwas ganz anderes macht, so bereichern wir uns gegenseitig.“ Fahren sie oft nach Polen? „Wir sind 1990, nach der Wende, mit der ganzen Familie nach Pole gereist, alle Verwandten leben noch da. Aber wir hatten schon in Deutschland Fuß gefasst. Ja, ich fahre, so oft es geht. Ich habe da auch Projekte realisiert.“ Die Hochzeits-Fotos? „Ja. Meine Abschlussarbeit an der Hochschule. Meine Frau hatte alles organisiert. Es waren alles Paaren, die in diesem Jahr geheiratet hatten. Der Fotograf war der gleiche, der auch die offiziellen Hochzeitsfotos machte. Alle anderen sind meine Familie. Das ist interessant: Betrachter stellen oft Ähnlichkeiten des Brautpaar mit den anderen fest.“
Ist auch die Foto-Serie „Slawomir“, in der Sie sich in verschiedenen Berufen und Kostümierungen inszenierten in Polen entstanden. „Nur eines. Es geht mir da um Anpassung und Veränderung. Ist der Bar-Mann wirklich einer, oder etwa ein Ingenieur auf Stellensuche, der das als Überbrückung macht? Sieht man Menschen ihren Beruf an? Wie verändert Imagination die Menschen?“ Was Sie in Ihren Arbeiten darstellen, ist auf den ersten Blick heil und intakt, fast idyllisch ist, aber auf den zweiten Blick offenbaren sich Brüche, Abgründe und Hintersinn. Das fiel mir auch bei den großformatigen Zeichnungen auf, die neulich in Dresden zu sehen waren. Und bei den Mauer-Stücken mit bröckelndem Putz scheint es mir auch so. Kann man sagen, das ist Ihr Thema? „Das ist ganz gut zusammengefasst. Jedoch ist das Heile, Intakte oft schon von vorn herein trügerisch, etwas stimmt nicht mit dem Motiv. So versuche ich die Wahrnehmung der Bildwelt zu hinterfragen. Nichts ist, wie es scheint. Für die Zeichnungen z.B. hatte ich Pressefotos als Vorlage, deren Erscheinung dann durch mich verrückt wird. Die Szene der heiligen drei Königen ist eigentlich in einem Flüchtlings-Camp.“
Wird Ihr Vorgehen von der Absicht diktiert? „Eigentlich wecken Bilder Emotionen zur Handlung. Sie regen mich an, mit ihnen zu arbeiten, es sind aber nicht zwangsläufig zweidimensionale Bilder. Die Figuren in den ‚Putzstücken’ sind übrigens Szenen aus der jüngeren polnischen Geschichte.“ Ihre Zeichnungen, auch die großformatigen und mehrteiligen sind mit Farbstiften in Kupferstecher-Manier gestrichelt. Wie lange arbeiten Sie daran? „An den großen bis zu vier Wochen.“ Lauert da nicht der ‚Tennisarm’? „Ja, ich muss aufpassen.“ Sie malen, zeichnen, machen Fotos und inszenieren Motive. Haben Sie auch schon gefilmt? „Im Studium habe ich einen kurzen Film gemacht, der bei einigen Filmfesten lief. Ich versuche, alles so wiederzugeben, dass es mit dem Medium im Einklang ist. Jedes Sujet fordert das passende Medium. Es gibt bestimmt noch mal einen Film. Jetzt bin ich am zeichnen dran.
Berlin, Dezember 2009
Für: DIE WELT, Januar 2010