Die doppelte Diskriminierung und späte Würdigung des Malers Wilhelm Rudolph
Als in der Nacht zum 14. Februar 1945, Valentinstag und Aschermittwoch, Dresden im Feuersturm unterging, verlor auch der Maler Wilhelm Rudolph alles. Ein wenig Zeichenpapier, etwas Tusche und ein paar Holzschnitt-Druckplatten konnte er bergen, sonst nichts. Wie bei vielen tausend anderen, waren Existenz und Lebenswerk vernichtet. Der 56-jährige Maler litt immer noch unter den traumatischen Erlebnissen an den Fronten des Ersten Weltkriegs, begriff den Untergang Dresdens nicht als Weltenwende. Wenige Tage danach begann er, alles Bildern festzuhalten. Mit unbestechlicher Sachlichkeit zeichnete Rudolph „Das zerstörte Dresden“. Was gab ihm die Kraft dazu? In der Wandelhalle des Sächsischen Landtages sind gegenwärtig 65 der 150 Blätter zu sehen.
Wer war dieser Wilhelm Rudolph (1889-1982), der Maler aus der sogenannten „zweiten Reihe“, der erst spät die rechte Aufmerksamkeit fand?
Ein kauziger Typ in schäbigem Mäntelchen, mit speckiger Mütze und dem unvermeidlichen Rucksack, der überall auffiel, so hat ihn Helmut Heinze porträtiert. „Ein grundgütiger Mensch, offenherzig zu jedem, der ihm gerade gegenübertrat. Aber wenn er nur die Spur von Arg oder Lüge witterte, konnte er fies sein und erging sich in stundenlangen Belehrungen. Mancher hat nie einen Stuhl angeboten bekommen.“ Das sagt Bernhard Koban, er war in den letzten 20 Lebensjahren Rudolphs Drucker und sein Vertrauter. „Ich konnte eben meinen Mund nie halten“, hat er selbst, hochbetagt, in einem Interview erklärt. Unbestechlich wahrhaftig erscheinen seine Werke: die Hyäne, Landschaften als Zeichnung oder Holzschnitt, die Flüchtlingstrecks, sowjetische Soldaten, die Ruinen von Dresden.
Es war nicht einfach für Rudolph, das zerstörte Dresden zu zeichnen. Er war als „entartet“ eingestuft, hatte sich nicht dem Kunstdiktat der Nazis untergeordnet, war 1939 als „untragbar“ aus der Kunstakademie der Elbestadt entfernt worden. Die Nazi-Behörden verboten ihm das Zeichnen der Ruinen; nachdem ein Freund sich für ihn eingesetzt hatte, wurde es doch gestattet, wohl in der Hoffnung, man könne die Arbeiten propagandistisch nutzen. Wer der Fürsprecher war, hat er verschwiegen, Unterlagen gibt es nicht.
Nach dem Einzug der Roten Armee wurde Rudolph die Arbeit von den Besatzungs-Behörden erneut untersagt. Auf Anraten von Curt Querner wandte Rudolph sich am 6. Juni 1945 an den, von der Militärverwaltung eingesetzten deutschen Kulturstadtrat Heinrich Greif, ein aus der Emigration zurückgekehrten Schauspieler. In dem Brief schildert Rudolph seine Situation während der Nazizeit. Die Entlassung aus dem Hochschuldienst war bereits 1933 betrieben worden, kam aber durch das Eintreten von Kollegen nicht zustande; 1936 scheiterte ein zweiter Versuch am Zwist zwischen dem Dresdner Oberbürgermeister und Gauleiter Mutschmann. Rudolph erwähnt auch, daß er seit 1936 als „bolschewistisch“, als „Gosse- und Armeleutemaler“ diffamiert wurde. Das Handschreiben endet: „Durch die großen Angriffe auf Dresden bin ich total bombengeschädigt worden. Gegenwärtig zeichne ich die Ruinen Dresdens, um von diesem ungeheuerlichen Geschehen einer besseren Zukunft einen starken und eindringlichen Bericht zu geben.“ Daraufhin erhielt Rudolph den Propusk von der Besatzungsmacht und konnte weiterhin arbeiten.
Rudolph hat über den Weltenwechsel nicht gejubelt und über die damit verbundene Not nicht geklagt, er hat gearbeitet. Seine Meiterschaft machte die Zeichnungen zu erschütternden Dokumenten, die sachlich wiedergeben, was war. Sie unterstrichen einmal mehr Rudolphs Nimbus von unbestechlichen Künstler: Die Arbeiten verraten nichts von dem, was den Maler bewegt haben muss. Wie sehr er unter der Entwurzelung tatsächlich gelitten hat, belegen Gedichte, die er in dieser Zeit schrieb. Eines ist auf den 15. Mai 1945 datiert, es beginnt: „Deutschland – Deine Städte sind zerborsten – Deine Fabriken im Bruch – Brandtrümmer säumen die Straßen. Ohne Waffen streben Deine Soldaten fußkrank und verwundet und ohne Stiefel nach der Heimat, zwischen den ziehenden Völkern Europas. Arme Heimat, die längst zerstört – nur noch Illusion ihrer Herzen.“
Was ihn bestechlich gemacht hätte, seine privaten Gefühle, stilisierte er nicht zur Nabelschau, sondern fasste sie in Worte: um objektiv zeichnen zu können. Das bedingungslose Mühen um künstlerische Wahrhaftigkeit, ließ ihn eigenbrötlerisch werden, eigensinnig – natürlich auch kauzig und, doch, eitel. Opportunist war er nie, er Rudolph ließ nur gelten, was seinem künstlerischen Realitätssinn standhielt.
Im August 1946 wurde er, rückwirkend zum 1. Mai, als Akademie-Dozent wieder eingesetzt. Eine Freundin, SED-Mitglied, attestierte im November des gleichen Jahres, dass sein Haus ein Ort war, „an dem man aufrechte und kämpferische Antifaschisten treffen konnte“ und in dem die „Nachrichten der sogenannten Feind-Sender diskutiert, Pamphlete auf das Dritte Reich gelesen und Zersetzungstaktik durchgesprochen wurde.“ Obendrein weist sie darauf hin, dass zum Kreis um Rudolph seit 1943 auch französische Zivil-Gefangene gehörten. Das war ein wohlmeinender Persil-Schein, entsprach aber den Tatsachen…
Am 15. Dezember 1948 teilt die sächsische Landesregierung Wilhelm Rudolph mit, dass seine Anstellung an der Akademie zum 31. 1. 49 fristgemäß gekündigt wird. Es erschien sogar „zweckmäßig, Sie vom heutigen Tage ab mit sofortiger Wirkung zu beurlauben.“ Als Begründung wird eine „seit langem geplante Reorganisation“ der Dresdner Kunsthochschule (sie fand tatsächlich statt) angegeben, die „auch Veränderungen im Lehrkörper“ zur Folge hat. Berhard Koban: „Das war eine Denunziation. Aber er hat sich dazu nie geäußert, hats mit einer Handbewegung weggewischt, wenn die Rede darauf kam.“ Auch der Kustos für das 20. Jahrhundert im Kupferstichkabinett der Dresdener Kunstsammlungen, Hans-Ulrich Lehmann, hält das für wahrscheinlich. Auf die Rückseite des Entlassungsschreibens hat Rudolph handschriftlich vermerkt: „Die anstehende Entlassung ist im Landesvorstand der SED beschlossen worden, mit der Begründung, dass ich für die SED `untragbar´ sei. Die Begründung für die Kündigung ist die gleiche, wie die, die mir im Januar 1939 die Nazis zustellten. Die NSDAP erklärte mich seinerzeit genau wie jetzt die SED für `untragbar´. Bei meiner jetzigen Kündigung haben Grundig, Hoffmann, Lachnit, Ulitzsch mich als Faschisten verdächtig und mit allen Mitteln der Verleumdung meine Entfernung aus der Akademie betrieben.“ Ein Architektur-Professor, Gewerkschafts-Funktionär, und Studenten setzten sich noch für Rudolph ein, aber vergeblich.
Der Kustos des Dresdner Kupferstichkabinetts, weist darauf hin, dass es für Rudolphs Verdacht keinen Beweis gibt. Aufklärung könnte Einsicht in SED-Akten geben. Lehmann erinnert auch daran, dass die genannten kurz zuvor aus der Emigration zurückgekommen waren.
Anlass der Aktion war eine NSDAP-Mitgliedschaft Rudolphs. Der Maler war im März 1932 in die Nazipartei ein- und im Oktober des gleichen Jahres wieder ausgetreten. Das hatte er allerdings nie verheimlicht. Auf den gleichen Tag datiert, wie das Schreiben an Greif, erklärt er in einer Stellungnahme: „Die Arroganz, die ich dort fand, die Neigung zur Übertreibung und zur Geschichtslüge, wie zur Lüge überhaupt, brachten mich sehr bald gegen sie in schroffen Gegensatz.“ Er sah darin „Charakteranlagen der NSDAP überhaupt.“ Unklar bleibt allerdings, ob dieses Papier eine Anlage zum Gesuch an Greif war, oder dessen ursprünglicher Entwurf. Auch darüber, aus welchem Grund er in die Partei eintrat, lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Koban: „Soweit ich weiß, hat er 1930/31 bei seinen Eltern in Chemnitz eine Krankheit auskuriert. Da müssen alle seine alten Bekannten schon PG gewesen sein, und er war so einer Art Gruppenzwang aufgesessen.“ Umso erschreckender ist es, dass dieser Ausrutscher benutzt wurde, Rudolph kaltzustellen. Wahrscheinlicher ist, dass einfach die Pfründe neu verteilt wurden und der unangepasste Einzelgänger den Stalinisten ein Dorn im Auge war.
Offiziell rehabilitiert wurde der Maler nie, schrittweise hat ihn die DDR wieder zugelassen, erst 1959 erwarb das Dresdner Kupferstichkabinett seinen Zyklus „Das zerstörte Dresden“ und 1961 erhielt er den Nationalpreis der DDR. Irgendwann wurde ihm der Befehl überbracht, Ulbricht zu porträtieren. Koban erinnert sich: „Der hatte doch mit denen nichts am Hut. Schon 1979 hat er gesagt, dass es mit denen hier nichts mehr wird, das ist vorbei, nur noch eine Frage der Zeit.“
1982 ist Rudolph in Dresden, in der Stadt, in der er immer gelebt hat, gestorben. Am 22. Februar hätte er seinen 106 Geburtstag.
Berlin, Dezember 1994
Für: DIE WELT, Berlin, Februar 1995