Ateliergespräch mit dem Berliner Maler Vincent Wenzel
Auf dem Boden liegen Papiere, darauf ausgepresste Tuben, leere Näpfe und farbgetränkte Ohr-Tupfer. Es riecht nach Ölfarbe und Terpentin. Auf der Staffelei neben der nach Norden zeigenden Fensterfront steht ein Wand füllendes Bild: eine Fallschirm-Springerin ist auf einer Spontan-Müllhalde neben einem Eisenbahn-Viadukt am Rande einer Stadt gelandet. Sie ist unbeschadet, der Flugschirm zerschlissen, die Architektur leuchtet im Abendrot und der Müll wird im Abglanz zum Ensemble, damit zur Hauptfigur.
In dieser Szenerie sitzen zwei Männer im Gespräch. Der ältere, sitzt Maler und Bild gegenüber, hat Not, nicht ständig das Bild anzusehen; der andere ist der Maler. Er heißt Vincent Wenzel und hat in Weißensee bei Lieb-mann studiert. Das Gespräch beginnt tastend, wird bald bereiter, endlich offen, gewinnt eine Art Vertrautheit…
Vincent Wenzel wurde 1979 in Berlin geboren und wuchs in Wismar auf. Wie kam er zur Kunst? Gab es eine Prägung aus dem Elternhaus? In seinen Augenwinkeln spielt kurz ein Lächeln. „Das hat in der späten Jugend angefangen. Über Nacht, quasi. Ich hab mir Farben gekauft und losgemalt. Wohl spät-pubertäre Umbauphase.“ Er schweigt etwas, ich betrachte das Bild. Dann überrascht er mich: „Danach wollte ich nichts anderes mehr machen. Das war alles ganz normal: ich wollte das studieren. Hamburg oder Berlin. Da Vater aus Berlin kam, ging ich nach Weißensee.“ So, wie er das sagt, als sei es das Normalste der Welt, dass einer Maler wird, schwingen viel verarbeitete Fragestellung, überwundener Zweifel und immer noch stattfindende Suche mit.
Er reist viel. „Ja, ich war ein Jahr in Italien. Aber da hab ich nicht viel gemacht. Ich musste das alles ansehen. Jetzt kann ich mich darauf beziehen. Berlin hat seine eigene Realität. Alles ist so verschachtelt, Menschen und Baustile. Es geht viel kaputt und wird nicht repariert, auch Menschen.“ Das lässt sich auch aus seiner Bildsprache lesen. Hat er sie aus dieser Erfahrung entwickelt? „Anfang hab ich alles Mögliche gemacht, viele Collagen. Irgendwann bemerkte ich: die ganze Welt ist eine Collage. Ein Spiel mit Kausalität: Ursache Wirkung Intuition. Ich wollte möglichst freien Zugang auf Objekte haben, die zur Verfügung stehen, Elemente von Realität montieren. Es geht immer um Menschen in ihrer Umgebung, um Menschen, die sich daran anpassen. Oder das Gegenteil. Menschen, die sich so einfügen, dass sie zur Einheit mit der Umgebung werden.“
Das klingt nach Hegel, Kraft und Neugier: Jugend. Aber dann kommt gleich der Faust: „Oft merkt man das erst hinterher, wenn was entstanden ist. Ein Weltentwurf, Weltbild klingt nach Größenwahn, aber ich mache nun mal Bilder… Man muss sich da sehr zurückhalten, sonst kann es böse werden.“ Arbeit als Lebens-Erfahrung? Das ist älter als Hegel, aber „nicht mehr in Mode“. Wenzel sieht mich sein Bild betrachten und sagt: „Während der Arbeit kommt man sich manchmal blöd vor: was mache ich denn da? Eine wichtige Rolle spielt auch die Sexualität. Planung interessiert mich. Menschen-Planung; Kunstplanung; dass Lebens-Planung künstlich ist. Kunst ist kein Abbild der Realität. Aber was ist Realität? Da gehört nicht nur das Schöne dazu, sondern auch das Hässliche.“
Und das malt er. Wirklich. Ich erinnere ein Bild, in dem eine junge Frau im Bikini mit einem Orka turnt. Sie schlitzt dem Tier den Bauch auf und heraus fallen Berge von Würsten. Er unterbricht meine Gedanken: „Man kann in der Kunst heute machen, was man will. Es gibt keine Schulen mehr. Das ist gut, aber auch schade: es entstehen Parallel-Welten. Weil jeder für sich in seiner Art arbeitet. Einer malt, einer aquarelliert, einer macht Schattenrisse… Der mystische Anteil ist hoch.“ Das von einem jungen Menschen, der sein Leben noch vor sich hat, in unserer so pragmatischen Zeit?
„Kunst ist mystisch. Das andere ICH bricht hervor. Das wird immer in uns bleiben. Das ist das Wesen der Kunst; jeder Künstler ist ein Mystiker.“
Terpentingeruch füllt die Stille. Gedanken an meine eigene Jugend. Der junge Maler zerschlägt sie. „Ich habe gerne Kaputtes im Bild, Müllhalden etc. – auch Menschen bestehen zu 80 % aus Schrott, und vor Schrott stehen die Menschen viel entspannter als in ihren gedachten, sauberen Umgebungen. Was wirft man weg? Unsere Vorfahren konnten Spuren lesen, wir machen das im Antiquariat. Oder auf Müllhalden. Suchen wir da nicht Flucht-Wege? Überhaupt Wege?“
Faust hat seinen Weg klar vor sich; was soll ich da noch fragen? Altmeisterliche Technik? „Ja, schon. Aber mich interessieren Menschen. Kostüme. Die Modelle sind meistens Freunde. Der Hintergrund wird dann oft auf das Wesentliche reduziert.“ Und die Relikte? „Auch Kunst ist ein Relikt. Ich habe mir mal vorgestellt, ich wäre ein Typ von 2100 und beschäftigte mich mit historischer Malerei. Malerei ist kein Dokument, sondern immer zeit-versetzte Rückschau.“
Berlin, März 2010
Für: Katalog „Brot und Spiele“ , Brusberg Berlin, Dezember 2010